Ein einsamer Koffer in Bangalore oder Indische Wunderwelt

Wer schon einmal in einer indischen Großstadt gelandet ist, kennt das Gefühl in einer anderen Welt angekommen zu sein: Es riecht nach Staub und Gewürzen. Hunderte dunkler großer Augen erwarten einen bereits in der Ankunftshalle mit fragenden Blicken. Aus welcher Welt mögen diese Geschöpfe mit den hellen Haaren und Augen wohl kommen?… höre ich unausgesprochene Gedanken. Keine Frage, wir Europäer sind die reichen glücklichen Geschöpfe dieses Universums. Schafft man es endlich sich durch die Massen aus dem Flughafen in die stickige Nachtluft zu kämpfen, warten schon zarte Kinder, verkrüppelte Menschen und magere Hunde mit sehnsüchtigen Blicken. Sie alle wollen nur ein ganz kleines Stück von unserem Kuchen: „You have Pen?“, fragen die Kleinen in gebrochenem Englisch, während sie einem die kleine Hand entgegenstrecken und ein kleines schüchternes: „Pleaseee!“ hinterherschieben. Der Kranke freut sich schon über zehn Rupien. Das sind noch nicht einmal 17 Cent.
Für mich ist es jedes Mal ein hartes Brot, wenn ich in Indien, eines meiner Lieblingsländer, einreise. Übermüdet versuche ich mir jedes Mal vorzustellen, wie es den Armen hier gehen muss. So wie auch gerade in Bangalore. Kaum gelandet, möchte ich mit diesen Menschen alles teilen. Ich schäme mich, dass ich jederzeit etwas zu essen habe, sauberes Wasser und 5-lagiges Toilettenpapier eine Selbstverständlichkeit sind. Müde und erschöpft setze ich mich in den Hotelbus, erleichtert, wie gut es mir jetzt nach diesem langen Flug geht. In zehn Minuten werde ich in einem sauberen Bett liegen, abgeschirmt von Armut und Staub. Schon jetzt freue ich mich auf meinen nächsten Tag, die farbenfrohen Märkte, die entspannenden Massagen. Nach der Ankuft im Hotel stelle ich fest, dass mein Koffer fehlt. Mühevoll versuche ich zu rekonstruieren, wo ich ihn das letzte Mal gesehen hab. Sinnlos! Die Müdigkeit raubt mir die letzte Kraft. Er muss wohl beim Beladen des Busses vergessen worden sein. In meinem Kopf scanne ich die Dinge, die ich dabei habe. Mir wird schwindelig. Mir fallen all die teuren schönen Sachen ein, meine Lieblingssachen, die Uhr, mein Schlüssel…Mir wird übel. Ich stelle mir gerade vor, wie sich das arme indische Empfangskommando vor dem Flughafen über das wertvolle Gut hermacht. Ich male mir aus, wie sich jeder ein Stück von meinem Kuchen nimmt und weiß nicht, was ich denken soll. An der Rezeption will ich mir ein Taxi bestellen lassen, um nach meinem vermissten Koffer zu suchen: „No Madam, just wait here! They always find lost Suitcases and bring them around“, versucht mich die schöne Hotelangestellte Nisha zu überreden. Aber ich wollte einfach nicht warten. Ungeduldig bitte ich sie, mir zu helfen. Mit Mühe gelingt es ihr, dass ich ruhig bleibe und warte. Pausenlos telefoniert Nisha den gesamten Flughafen ab. Neben ihren indischen Worten, verstehe ich nur „lost suitcase“. In wenigen Minuten kommt ein Anruf: Nisha strahlt übers ganze Gesicht, mit dem Ausdruck „Ich habe es dir doch gesagt“ in den Augen: „Ma`am they found your suitcase!“ Mein Koffer hatte eine Stunde allein inmitten der Kinder, Kranken und Hunden gestanden und niemand hatte auch nur eine Sekunde daran gedacht, sich an meine Sachen zu begeben. Schnell begreife ich, dass diese Menschen etwas von ihrem Kuchen mit mir teilen wollen. So viel Ehrlichkeit und Respekt habe ich noch nie erlebt. In meiner Heimatstadt Berlin muss ich mein Fahrrad mit zwei Schlössern sichern. Verliere ich meine Kreditkarte findet sich schon ein Abehmer, der es sich damit gut gehen lässt. Ich fühle mich geborgen, sinke in mein weiches sauberes Hotelbett und kann nicht eine Minute schlafen. Noch immer kann ich meine Dankbarkeit nicht in Worte fassen!

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